Was macht eigentlich ein Nationalrat?

Fabian Molina sitzt seit 2018 im Nationalrat. Wie es dazu kam, wieso man extrovertiert sein muss und wann man während Abstimmungen besser aufs WC geht.

Meine Politisierung hat viel mit meiner Familie zu tun. Mein Vater kam 1982 als politischer Flüchtling aus Chile in die Schweiz, meine Mutter – ursprünglich eine Bürgerstochter – war in der Anti-AKW-Bewegung aktiv. Initialzündung war 2006 die Asylgesetzreform, mit der das Asylrecht so verschärft wurde, dass mein Vater kein Asyl mehr erhalten hätte. Damals habe ich gemerkt, wie riesig der Einfluss der Politik ist, und ich wollte mich einbringen und mitentscheiden. Deshalb bin ich mit 16 Jahren der SP beigetreten und habe die Juso Illnau-Effretikon mitgegründet.

Mit 19 Jahren bin ich in den Grossen Gemeinderat von Illnau-Effretikon gewählt worden. Sechs Jahre danach wurde ich Juso-Präsident, habe 2015 für den Nationalrat kandidiert und landete auf dem ersten Nachrutschplatz. 2017 bin ich in den Kantonsrat und 2018 – nach dem Rücktritt von Tim Guldimann – in den Nationalrat nachgerutscht.

Nationalrat ist ein wahnsinnig abwechslungsreicher Job, bei dem man in ganz verschiedene Bereiche hineinsieht. Während der Session finden am Vor- und am Nachmittag Plenarsitzungen, über Mittag Sitzungen mit Interessengruppen oder mit der Partei, Mediengespräche und Führungen statt – am Abend wieder dasselbe. Eine wahnsinnige Reizüberflutung – Jacqueline Badran hat mal gesagt: Session sei, als ob du ein Buch lesen würdest und gleichzeitig der Fernseher läuft, bei dem jemand die ganze Zeit den Kanal umstellt und du alles mitbekommen müsstest.

Etwa jede zweite Woche habe ich eine eineinhalbtägige Kommissionssitzung. Diese gilt es vorzubereiten und idealerweise schon im Vorfeld Absprachen zu treffen. In der Aussenpolitischen Kommission machen wir zudem immer wieder Informationsreisen. Dazu kommen öffentliche Termine: Fernsehauftritte, Podien, Diskussionsveranstaltungen und sehr viele persönliche Treffen – sei dies mit Bürger:innen mit einem Anliegen oder mit Vereinen und Stiftungen.

Gemäss einer Studie der Uni Genf umfasst das Nationalratsmandat ein Pensum von 70 bis 80 Prozent. Für mich sind es rund 100 Prozent. Die Arbeit ausserhalb der Session fällt unregelmässig an und ist nicht immer planbar. Du stehst auf und denkst, heute habe ich einen ruhigen Bürotag. Dann passiert etwas, und du bist den ganzen Tag am Telefon. Deshalb sind neben dem Mandat nur Tätigkeiten möglich, bei denen man flexibel arbeiten kann wie Autorin, Anwalt, Grafikerin. Für Menschen mit einem fixen Arbeitsplan wie in der Pflege oder als Tramfahrerin geht es nicht.

Das Parlament funktioniert sehr arbeitsteilig. Du musst die Geschäfte, die deine Kommission betreffen, im Griff haben, kannst aber nicht alle Geschäfte, die wir in der Session behandeln, studieren. Jene bereitet die SP-Delegation der jeweiligen Kommission vor und macht der Fraktion eine Empfehlung, allfällige Meinungsverschiedenheiten werden dann ausdiskutiert. Ist das Geschäft im Rat, ist der Mist in aller Regel geführt. Deshalb hört im Plenum auch kaum jemand zu.

Indirekt gibt es einen Stimmzwang. Wenn ein Drittel der SP-Fraktion anders stimmen würde, wären die Mitglieder der Kommissionen nicht mehr dealfähig. Wenn jemand bei einem Kernanliegen der Partei anders abstimmt, ist es die Aufgabe des Fraktionspräsidiums, das Gespräch zu suchen. Sind die Stimmenverhältnisse nicht knapp und das Geschäft nicht so zentral, ist man als Ausscherende:r während der Abstimmung auf dem WC oder enthält sich.

Für ein Nationalratsmandat musst du gerne mit Menschen arbeiten und extrovertiert sein. Es ist eine interpersonelle Tätigkeit – man ist am Kommunizieren, am Überzeugen, am Fragen beantworten. Ausserdem braucht man eine grosse Frustrationstoleranz und sollte sich nicht alles zu fest zu Herzen nehmen, denn negative Rückmeldungen gehören dazu. Es kann zudem ein einsamer Job sein. Du bist nicht Teil eines Büroteams, mit dem du alles besprechen kannst. Natürlich herrscht auch in der Fraktion ein Team-Spirit, aber wenn du arbeitest, bist du alleine und auch alleine für deine Geschäfte verantwortlich.

Dieser Text erschien im SP Info 4 & 5 2025/1.

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