Was macht eigentlich ein Bezirksrichter?

 

Alain Thiébaud arbeitet seit November 2022 als vollamtlicher Richter am Bezirksgericht Zürich. Wie es dazu kam, welche Rolle das Glück gespielt hat und wieso es auch für einen Richter nicht nur den einen Weg gibt, erzählte er SP INFO bei einem Bier im Xenix.

Bezirksrichter zu werden, kann man nicht planen. Es braucht auch Glück. Nach dem Studium habe ich mich für ein Auditorat, ein Praktikum beim Bezirksgericht, entschieden, weil mir das Praktikum bei grösseren Kanzleien nicht entsprochen hat. Mich störte die Machtkonzentration bei wenigen Partnern und die unmenschliche 80- bis 90-Stundenwoche. Man arbeitet als Jurist viel. Auch am Gericht wird mal bis um 23 Uhr verhandelt. Es hat aber Grenzen.

Danach arbeitete ich fünfzig Prozent als Gerichtsschreiber am Arbeitsgericht, das Teil des Bezirksgerichts ist. Mit einer Dissertation und dem Anwaltspatent in der Tasche, wollte ich mich nach sechs Jahren mit den restlichen fünfzig Prozent als Anwalt selbstständig machen. Die Doppelrolle wird jedoch nicht gern gesehen. Deshalb habe ich mich neu orientiert. Ein Freund von mir ist Baurechtsanwalt, das hat mir immer gefallen. So landete ich beim Baurekursgericht, das für die erstinstanzliche Behandlung von Baurekursen zuständig ist.

2017 bin ich der SP beigetreten. Aufgrund meiner Erfahrung im Baurecht wurde ich für die AG Wohnen angefragt, deren Leitung ich später übernommen habe.

Für eine Richterkarriere hätte der übliche Weg übers Obergericht geführt mit Einsätzen als Ersatzrichter im Bezirksgericht. Ich habe mich aber direkt auf eine ausgeschriebene Bezirksrichter-Stelle beworben und landete bei der parteiinternen Rangierung durch die Justizkommission auf dem zweiten Platz. Aber ich hatte Glück. Da der Kantonsrat inzwischen eine Aufstockung der Stellen beschlossen hatte, gab es neu zwei offene Stellen. Und ich wurde als Zweitrangierter Bezirksrichter.

Das Verfahren der Justizkommission ist fair. Es gibt einen Beurteilungsbogen mit Gewichtung. Der Schwerpunkt liegt auf juristischen Kenntnissen und praktischer Erfahrung am Gericht. Parteipolitisches Engagement ist sekundär. Meine tägliche Arbeit sehe ich nicht parteigebunden – parteipolitisch bin ich in der Freizeit als Mitglied der Geschäftsleitung der SP Stadt Zürich aktiv und, wie erwähnt, in der AG Wohnen. Im Beruf dagegen habe ich neutral zu sein. Dennoch, in einem Punkt schlägt das SP-Herz definitiv: Der Zugang zum Recht, d. h. die unentgeltliche Rechtspflege, ist mir sehr wichtig.

Ich bin in den Bereichen Familienrecht – Scheidungen, Sorgerecht – und Forderungen als Einzelrichter und im Strafrecht als Mitglied des Kollegialgerichts tätig. Familienrecht fasziniert mich im Moment am meisten. Die Problemstellungen wie auch die Lösungsmöglichkeiten sind sehr vielfältig. Es gibt nicht immer nur den einen Weg. Wir sehen uns nicht ausschliesslich als Entscheidungsinstanz, sondern versuchen, die Menschen darin zu unterstützen, den Konflikt mithilfe von verschiedenen Ansätzen – wie Runde Tische oder Mediation – zu bewältigen.

Eine gute Voraussetzung für diese Arbeit ist Begeisterung für die Materie. Man sollte zudem gern Menschen haben, nicht allzu fest Lampenfieber und den Willen, mit den Klient:innen zusammen an der Lösung des Problems zu arbeiten. Wichtig ist auch die Bereitschaft zum Zuhören sowie der Mut für unkonventionelle Lösungsansätze. Es bringt nichts, einfach zu entscheiden. Dann geht die Partei weiter ans Obergericht. Und das Problem ist immer noch da.

Dieser Text erschien im SP Info 4 & 5 2024/2.

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