Was macht eigentlich ein Friedensrichter?
Heinz Bögle ist seit 2008 Friedensrichter in den Stadtkreisen 4 und 5. SP INFO 4 & 5 wollte von ihm wissen, was ein Friedensrichter so macht und welche Voraussetzungen es braucht, um diesen Job auszuüben.
Friedensrichter wurde ich eher zufällig. Während einer langweiligen Budgetdebatte im Gemeinderat hat mich Min Li Marti gefragt, ob das nicht etwas für mich wäre. Ich hatte gerade eine Schaffenskrise in der Druckerei und einen neuen Geschäftsführer. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich schriftlich um eine Stelle beworben. An der Nominationsveranstaltung der SP4 & 5 machte ich in allen drei Wahlgängen das beste Resultat und setzte mich danach gegen Balthasar Glättli, Grüne, und Thomas Ehrensperger, FDP, im zweiten Wahlgang durch.
Ich hatte keinen Schimmer, was mich erwartet – ausser der wohlwollenden Vorgängerin Marianne Dahinden, der ersten Friedensrichterin der Stadt Zürich.
Gute Atmosphäre schaffen
Von Montag bis Donnerstag können bis zu vier Verhandlungen von ein bis eineinhalb Stunden stattfinden, zwei am Morgen und zwei am Nachmittag. Der Freitag ist verhandlungsfrei. Zurzeit sind es etwa zehn pro Woche. Das letzte Jahr war fallmässig das schlechteste seit 15 Jahren. Die Fallzahlen sind stark zurückgegangen.
Ich versuche, zu Beginn der Verhandlung eine gute Atmosphäre zu schaffen. Nach der Begrüssung wird die Identität festgestellt, die klagende Partei begründet die Klage, die Gegenseite nimmt Stellung dazu. Anwält:innen mitzunehmen ist erlaubt, ebenfalls eine Vertrauensperson.
Eine Klage kann eingeschrieben per Post eingereicht oder am Schalter abgegeben werden, standardisierte Formulare gibt es auf der Homepage. Die Niederschwelligkeit ist sehr wichtig. Das Formular auszufüllen schafft jeder und jede und falls doch nicht, hilft mein Sekretariat. Wir sind günstiger als das Gericht und mit Rechtsschutzversicherung oder für Gewerkschaftsmitglieder bei Kostengutsprache sogar gratis. Die Partei und die Gegenpartei werden innerhalb eines Monats vorgeladen, die Verhandlung sollte innerhalb zweier Monate stattfinden. Sie ist nicht öffentlich, alles erfolgt mündlich und bleibt im Verhandlungsraum. Im Protokoll halte ich nicht das Gesagte fest, sondern lediglich das Ergebnis wie etwa “X verpflichtet sich, Y 2000 Franken zu bezahlen, der Rechtsvorschlag ist aufgehoben”.
Bisweilen kann es auch rau zu- und hergehen oder emotional werden. Es stehen Taschentücher parat, ich habe einen Notfallknopf zur Polizei; es war alles schon im Einsatz. Der Raum ist nicht gross, und man sitzt nahe aufeinander. Mir hilft, dass ich aus dem Druckereigewerbe komme, einer eher rauen Berufswelt.
Schlichten statt richten
Ziel der Verhandlung ist gemäss Grundsatz “Schlichten statt richten” eine Einigung. Dies gelingt in zwei Dritteln der Fälle durch Rückzug der Klage, einen Vergleich oder eine Klageanerkennung. Wenn beide Parteien zufrieden sind oder beide ein bisschen knurren, dann ist die Verhandlung nicht schlecht geraten.
Kommt keine Einigung zustande, kann ich ein Urteil fällen, was ein- bis zweimal pro Jahr geschieht, einen Urteilsvorschlag machen oder eine Klagebewilligung erteilen, mit der die klagende Partei ans Bezirksgericht gelangen kann. Ein Drittel der Klagebewilligungen werden jedoch nicht eingereicht, da die klagende Partei beim Bezirksgericht vorschusspflichtig ist und meine Kundschaft sich den Vorschuss oft nicht leisten kann.
80 Prozent aller F.lle gelangen nicht ans Gericht. Dies ist ein guter Ausweis, schliesslich sind wir Friedensrichter:innen den Steuerzahlenden verpflichtet. Wir verhindern damit enorme Kosten, denn der Gerichtsapparat ist teuer. Und wir vermitteln Seelenfrieden.
Ich bin nicht Jurist, kenne jedoch die ZPO wohl besser als jeder Anwalt, der noch andere Rechtsgebiete hat. Meine Aufgabe ist, den betroffenen Parteien aufzuzeigen, welche Möglichkeiten sie verfahrensrechtlich haben, wie lange die Prozesse gehen, was sie kosten und sie auf Fristen aufmerksam zu machen. Der schönste Richterspruch nützt nichts, wenn die/der Beklagte kein Geld hat. Und die Erbschaft ist auch futsch, wenn man zu lange prozessiert.
Wir sind keine Rechtsberatungsstelle. Ich kann und darf juristisch nicht helfen und keine fallbezogenen Rechtsauskünfte erteilen, sondern leite die Kundschaft ans Sozialamt weiter, ans Anwaltskollektiv, an Gewerkschaften etc.
Bei 50 Prozent meiner Fälle geht es um Arbeitsrecht. Ein häufiges Thema ist die Korrektur von Arbeitszeugnissen oder eine fristlose Entlassung. Aber auch Geldforderungen sind häufig: Der Maler erhält sein Geld nicht, weil die Auftraggeberin findet, er habe nicht schön gemalt.
Allein sein können
Als Friedensrichter:in muss man gerne allein sein und die Dinge mit sich selber ausmachen. Wegen der Schweigepflicht kann ich mit niemanden reden, ausser meinem Stellvertreter. Ich höre vieles und nicht immer Positives. Das muss man aushalten und nicht zu nahe an sich heranlassen. Ich bin allein im Raum mit der Kundschaft. Nicht wie bei Gericht, wo Gerichtsschreiber:innen im Saal sitzen und man sich nach der Verhandlung am Kaffeeautomaten trifft. Und man muss die Menschen mögen und das Quartier.
Dieser Text erschien im SP Info 4 & 5 Juni 2023.